Gewöhnliche Fichte
(Picea abies)
Weihnachten steht vor der Tür und deshalb lasst uns über den Weihnachtsbaum reden. Meistens ist es zwar eine Tanne, die an den Feiertagen ins Haus geholt wird, doch heute geht es um einen anderen Baum.
Einen, an dem man als Naturfreund und Bergbegeisterte unmöglich vorbeikommt: Die Fichte, offiziell bekannt als Gewöhnliche Fichte, Rotfichte oder manchmal auch Rottanne, ist mit fast 42 % Anteil mit Abstand die häufigste Baumart in Bayern. An zweiter Stelle folgt die Kiefer mit knapp 17 %.
Zu verdanken hat Die Fichte ihre Häufigkeit ausschließlich dem Menschen. Von Natur aus ist sie nämlich eine Gebirgsbewohnerin. Sie bevorzugt kühle, regenreiche Gebiete, die sie bei uns hauptsächlich in den Alpen, aber auch vielen Mittelgebirgen wie dem Bayrischen und dem Fränkischen Wald findet. Weil sie schnell und gerade wächst und unempfindlich gegen Frost und Wildverbiss ist, wurde die Fichte großflächig auch außerhalb der Gebirge gepflanzt, was rein wirtschaftlich gesehen lange Zeit sehr gut funktioniert hat, so gut, dass auch heute noch viele die Fichte als den Brotbaum der Forstwirtschaft bezeichnen. Doch der Brotbaum hat sich in den letzten Jahrzehnten zum Problemkind entwickelt. Im Flachland schon immer an der Grenze des Erträglichen, hat der Klimawandel einen guten Teil der bayrischen Wälder für die Fichte unerträglich gemacht. Stürme und Borkenkäfer reißen tiefe Schneisen in die ach so produktiven Fichtenwälder nnd der kluge Waldbesitzer setzt längst auf standortheimische Baumarten, wie Tanne und Buche, oder experimentiert mit nichtheimischen Baumarten herum, wie Douglasie, Schwarzkiefer oder Zedern.
Im Gebirge aber behauptet die Fichte ihr Reich. In den unteren Gebirgslagen teilt sie sich den Wald mit Tanne, Buche und Bergahorn, doch je weiter es nach oben geht, desto höher wird der Anteil der Fichte. Auch in Höhen, in denen die anderen Baumarten längst schlapp gemacht haben, wächst die Fichte noch tapfer weiter, bis es schließlich auch ihr zu viel wird und nur noch ein paar Lärchen oder Zirben im Latschengebüsch aufragen.
Wer an Fichtenwälder denkt, hat meistens das Bild von braunen, viel zu dichten Stangenwäldern vor sich, die kein Licht auf den Boden lassen und in ihrer Einförmigkeit ökologisch ungefähr so wertvoll sind, wie ein totgespritzter Maisacker. Mit diesen Fichtenplantagen haben natürliche Fichtenwälder im Gebirge aber wenig gemeinsam. Die Bäume dort sind oft merkwürdig verwachsene Gestalten, denen man den Kampf ansieht, den sie hier oben gegen Schnee, Frost und Sonne führen müssen. Sie sind viel niedriger als die Fichten, die man aus den Wäldern vor der eigenen Haustür kennt, doch darf man sich davon nicht täuschen lassen. Eine Fichte, die man im Flachland vielleicht auf 50 Jahre schätzen würde, kann im Gebirge durchaus 500 Jahre alt sein.
Auch ökologisch hat die Fichte dort, wo sie natürlich wächst, einiges zu bieten. In den meist sehr lichten Wäldern fühlen sich Auer- und Haselhühner wohl. Im frisch abgestorbenen Fichtenholz legen die sogenannten Handwerkerböcke ihre Eier ab, große Bockkäferarten wie der Schuster- oder der Bäckerbock. Ihre Larven werden nicht selten vom Dreizehenspecht wieder herausgepickt, einem typischen Bewohner der Hochlagenwälder, der als Wärmesparmaßnahme ganz einfach einen Zeh weniger hat. Ein anderer Vogel trägt die Fichte sogar im Namen, nämlich der Fichtenkreuzschnabel, dessen Schnabelspitzen kreuzförmig aneinander vorbeiwachsen. Was aussieht wie eine Fehlstellung ist in Wirklichkeit eine wohldurchdachte Einrichtung der Natur, denn damit kann der Fichtenkreuzschnabel die Schuppen der Fichtenzapfen aufhebeln und so an die Samen darunter kommen.
Abgesehen von ihrem vielseitigen Holz, das zu Brettern, Dachbalken, Möbeln, Papier und vielem mehr verarbeitet werden kann, hat die Fichte auch für Wildkräuterfreundinnen und Schwammerljäger einiges zu bieten. Steinpilze, Braunkappen und Pfifferlinge wachsen auf den sauren Böden der Fichtenwälder und aus den jungen Triebspitzen kann man im Mai den sogenannten Maiwipfelhonig kochen. Das Harz der Fichte wirkt desinfizierend und wird in der Volksheilkunde zu Wund- und Zugsalben verarbeitet. Die ätherischen Öle der Fichte helfen bei Erkältung und Erkrankungen der Atemwege, wie übrigens die aller anderen Nadelbaumarten auch. Und mit den Zapfen lässt sich ganz wunderbar eine Tannen- Verzeihung- eine Fichtenzapfenschlacht machen, wenn einem die Bergtour mal zu langweilig wird.
Aber noch einmal zurück zu Weihnachten: Früher waren es gerade bei den ärmeren Leuten Fichten, die man sich statt der Tannen als Christbaum in die Häuser stellte. Das ist zwar heute grundsätzlich auch noch denkbar, aber nur für Leute zu empfehlen, die ihren Baum gleich nach Weihnachten wieder loswerden wollen. Denn das hat vielleicht schon mancher Sparfuchs erleben müssen, der seinen Baum kostenlos, aber illegal aus dem Wald hat mitgehen lassen: Fichten nadeln wie die Hölle.
Text: Annemarie Kastlmeier
Bilder: Canva, Annemarie Kastlmeier