Europäisches Alpenveilchen (Cyclamen purpurascens oder Cyclamen europaeum)
Es war ein schöner Morgen Anfang Oktober, sonnig und mit der milden Luft des Südtiroler Herbstes- naja, streng genommen war es der Trentiner Herbst, denn wir befanden uns auf dem Klettersteig bei Mezzocorona, knapp südlich der Grenze zwischen Südtirol und dem Trentino. Und dort, im Buchenwald über einer wilden Bachschlucht habe ich diese hübsche Pflanze mit ihren zartrosa Blüten zum ersten Mal in freier Wildbahn gesehen.
Ich bin gerade noch rechtzeitig gekommen, denn laut diversen Pflanzenführern und dem Internet blüht das Alpenveilchen normalerweise nur von Juni bis September. Die Blüten sitzen auf bis zu 15 cm langen Stängeln. Sie locken zwar mit ihrem Duft Insekten, vor allem Hummeln, an, Nektar bieten sie allerdings keinen an. Wenn nicht genügend leichtgläubige Hummeln zur Stelle sind, können die Blüten sich auch selbst bestäuben. Nach der Bestäubung, ringelt sich der Stiel spiralförmig ein. Die Früchte reifen in Bodennähe, öffnen sich im nächsten Sommer und geben die Samen frei, die im Schutz der letztjährigen Laubschicht austreiben. Sind die Blüten verblüht, verwelken auch die Blätter, die mit ihrem hellgrünen Muster auf dunkelgrünem Grund ausgesprochen hübsch aussehen. Die Pflanze überwintert in einer unterirdischen Knolle. Zu finden ist das Alpenveilchen ausschließlich auf Kalkboden. Es bevorzugt eher schattige, feuchte Standorte in den Buchenwäldern der mittleren Gebirgslagen, kann aber bis auf Höhen von 2000 Metern klettern. In Bayern steht das Alpenveilchen auf der Roten Liste und ist als gefährdet eingestuft.
Wer beim Anblick des Alpenveilchens zuerst an die Topfpflanzen daheim auf der Fensterbank denkt, liegt damit gar nicht so falsch, auch wenn es sich bei der bekannten Zimmerpflanze nicht um das echte Alpenveilchen handelt, sondern um das Zimmer-Alpenveilchens (Cyclamen persicum), das ursprünglich aus Südeuropa kommt. Man sieht es dem hübschen, zarten Blümchen zwar nicht an, aber das Alpenveilchen ist ausgesprochen giftig. Bei Menschen können schon 0,3 g der Knolle Vergiftungserscheinungen hervorrufen, höhere Dosen können tödlich sein.
Bei Fischen führt das Gift schon in kleinsten Dosen zur Bewusstlosigkeit und wurde deshalb bereits in der Antike als Köder beim Fischfang verwendet, wie ein griechisches Lehrgedicht aus dem 2. Jahrhundert belegt. Nicht nur zum Fische fangen hat man seit der Antike das Alpenveilchen verwendet, sondern auch als Heilmittel. Die Giftigkeit hat die Menschen früher offenbar wenig beeindruckt. Die getrocknete Wurzelknolle wurde bei Schlangenbissen, Gicht, Geschwüren, Augen- und Milzleiden, Darmvorfall, Menstruationsstörung und als Abtreibungsmittel verwendet. Sogar das Schielen sollte man damit heilen können. Wie viele Menschen ihr Leben lassen mussten bei dem verzweifelten Versuch, auf diesem Wege ihr Schielen loszuwerden, ist nicht bekannt.
Text und Bilder: Annemie Kastlmeier

